Schulentwicklung könnte so einfach sein: Wir gestalten unsere Schule, sodass dort Schüler:innen gut lernen und Lehrer:innen gut arbeiten können; zu einer Schule, an der Eltern ihre Kinder gerne anmelden. Schulentwicklungsprozess klingt für viele Kolleg:innen aber nach aufwändige Konferenzen, in denen Konzepte erstellt werden, die in Aktenordnern verstauben. Zugleich entwickeln sich Schulen im alltäglichen Handeln, wenn gemeinsam reflektiert und mit den Ergebnissen systematisch und zielgerichtet weitergearbeitet wird.

In dieses Spannungsfeld hinein habe ich gemeinsam mit Nele Hirsch für das NLQ einen Selbstlernkurs erstellt, mit dem Schulen lernen können,
- schnell und einfach an (Beispiel)Themen zu arbeiten
- und zugleich Schulentwicklung zu kultivieren als gemeinsames und wiederkehrendes Element von Schulleben.
Über Beispielthemen hinaus zeigen wir auf der Meta-Ebene Wege, wie sich Teams mit agilen Methoden selbst organisieren können, dabei prototypisch Schulentwicklungspfade gehen und dauerhaft gangbar machen. Ich werde diesen Schulentwicklungspfad hier skizzieren, vor allem erklären, wie er zum Prototyp werden kann. Einen vertiefenden Blick möchte ich zudem auf die Rolle der Schulleitung werfen, die eine Veränderung ermöglichen kann, welche als partizipative Schulentwicklung nicht weniger ist als die Transformation einer Schule.
Entwicklung eines Prototyp für Schulentwicklung
Das Vorgehen wird angeleitet im Kurs (bitte als als Gast anmelden) und im Video erklärt:
Wie könnte ein Team sinnvoll arbeiten – ein Vorschlag für einen Prototyp
Konkret sieht unser Ansatz vor, dass ein Team beauftragt wird, ein bestimmtes Thema in der Schule voranzubringen. Für die Arbeit am Thema schlagen wir vier Phasen vor:
- Konzeptentwicklung,
- Umsetzungsstrategie,
- Implementierung und Zeitplan und
- Reflexion der Implementierung.
Für die Arbeit in den Phasen schlagen wir als Phasierung für zwei Wochen vor:
- Treffen für Absprachen und Terminsuche,
- Selbstlernphase mit asynchroner Arbeit am digitalen Dokument,
- Treffen zum inhaltlichen Austausch und zur Absprache der Endredaktion,
- asynchrone Fertigstellung des digitalen Dokuments.
Für die Arbeit in den Teams schlagen wir vor,
- dass die Mitarbeit auf freiwilliger Basis für eine oder mehrere Phasen erfolgt und
- dass mindestens ein Teammitglied in der nächsten Phase weiter mitarbeitet.
Vom Vorschlag zum individuellen, aber gemeinsamen Weg
Wir formulieren unsere Skizze eines Prototyps bewusst als Vorschlag, weil wir annehmen müssen, dass jede Schule unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt. Die handelnden Personen, vor allem Schulleitung und Kollegium, aber auch Schüler:innen und Eltern haben unterschiedliche Interessen im Bezug auf Schulentwicklung. Auch innerhalb der Gruppierungen gibt es unterschiedliche Haltungen zu Entwicklung, zumal diese immer mit Veränderung verbunden ist. Die unterschiedlichen Haltungen erklärt Philippe Wampfler mit den natürlichen Rollen „Runner“, die Schule am Laufen halten, und „Changer“, die Schule verändern wollen:
Philippe Wampfler
Diese notwendigen unterschiedlichen Perspektiven, aber auch die folgenden Dynamiken führen naturgemäß zu unterschiedlichem Erleben von Veränderung, womit Schule umgehen muss:
Um beide Seiten einzubinden, setzen wir nach einer Konzeptphase, in der bisweilen große Ziele und hohe Ideale eine Rolle spielen, eine Umsetzungsstrategie an – sowie deren Konkretisierung und Reflexion im nächsten Schritt. Damit geben wir dem Spannungsfeld zwischen Runnern und Changern Raum. Hier könnten auch unterschiedliche Besetzungen der Teams strategisch genutzt werden, indem Runner und Changer angemessen beteiligt sind.
Entscheidend ist, hierbei das Organisationsgedächtnis mitzudenken:
Organisationsgedächtnis: „ein von weiten Kreisen der Organisation gemeinsam geteiltes Wissen über die Organisation, das der Wirklichkeit zwar nicht unbedingt entsprechen muss, aber dennoch gültig ist, weil es von der Mehrheit der Organisationsmitglieder als richtig empfunden und ihrem Verhalten praktisch folgenreich zugrunde gelegt wird“.
Harald Geissler (1995) Grundlagen des Organisationslernens, S. 12
Es geht also darum, einen Weg zu finden, der Veränderung angemessen und für die Gemeinschaft mit ihrer Geschichte tragfähig ermöglicht. Damit dieser Weg zugleich nachhaltig Schulentwicklung eröffnet, muss er im Sinne des Organisationsgedächtnisses von der Mehrheit der Organisationsmitglieder als richtig empfunden werden. Dafür ist das Konzept des Prototyps aus dem agilen Framework „Scrum“ gut geeignet, um sich aktiv einem Modus zu nähern und die Näherung wiederholt zu reflektieren:
Die Grundidee der Agilität, angelehnt an Scrum
Agilität ist in den letzten Jahren zwar zum Schlagwort verkommen, aber der hier gemeinte Aspekt „Beweglichkeit“ ist für Schulentwicklung von zentraler Bedeutung, um Annäherung leisten zu können. Ziel ist, dass Schule sich Schritt für Schritt mit allen Beteiligten auf einen Entwicklungsprozess einlässt, der immer wieder neu justiert wird. Das lässt sich am Prinzip der „Iteration“ in Scrum gut verdeutlichen:
Scrum entstammt ursprünglich der Softwareprogrammierung. Anstatt wie früher üblich Software zu konzipieren, zu programmieren und dann nach Jahren der Arbeit festzustellen, dass die Software in der Planung innovativ war und nun vor der Veröffentlichung veraltet ist, wird Software jetzt in vielen kleinen Schritten (auf)gebaut. Zunächst wird dafür ein kleiner Bestandteil programmiert und getestet, danach in den folgenden Schritten erweitert. Dieses Vorgehen nennt sich Iteration, da mit jedem Durchgang, hier mit jeder Erweiterung des Programms eine Annäherung an das gewünschte Ziel erfolgt.
Agilität in der Schulentwicklung
Ähnlich muss Schule ihre Entwicklung ausbalancieren: Der erste Schritt kann kaum revolutionär sein, sondern muss als einer von vielen Schritten begriffen werden, die gemeinsam den Weg ergeben. Wichtiger als der konkrete erste Schritt sind erste kleine Schritte: „Du musst Dich irgendwann für eine mögliche Lösung entscheiden.“ Zumal jeder Schritt stärker Runnern oder Changern zugute kommen wird.
Das balancieren wir im Kurs aus: einerseits durch das Spannungsfeld zwischen Konzeptphase und Umsetzungsstrategie, da das Konzept auch groß und umfassend gedacht und erst danach auf Umsetzbarkeit überprüft werden muss. Andererseits fließen die Erkenntnisse der Reflexionsphase in die weitere Planung der nächsten Schritte mit ein. Dadurch entsteht Balance auch über mehrere Zyklen hinweg und es gibt Phasen von (zu) starker und intensiver Veränderung ebenso wie Phasen, in denen Kontinuität und Konsolidierung im Vordergrund stehen.
Dabei ist die zentrale Aufgabe für lernende Schulen, gemeinsam zu einer Haltung zu kommen, dass Veränderung der Standardmodus ist. Erst wenn diese Haltung Teil des Organisationsgedächtnisses geworden ist, ist Schule eine lernende Schule. Das lebenslange Lernen als Prinzip der Lernenden spiegelt sich im organisationslangen Lernen einer Schule. Insofern sind kleine erfolgreiche Entwicklungsschritte dem großen Wurf vorzuziehen, vor allem weil sie helfen, eine gemeinsame Haltung zu kultivieren:
„Die Bereitschaft, sich und Schule zu verändern, ist zur Daueraufgabe geworden.“
Dirk Zorn
Zyklische Prozesse ersetzen lineare Konzepte
Scrum kann dabei ermöglichen, dass Schulen ihre Entwicklung nicht im try-and-error-Modus gestalten, sondern den ersten Versuch bewusst als Startpunkt für eine zyklische Schulentwicklung betrachten, die ständig reflektiert und dadurch weiterentwickelt wird. Als letzte Phase folgt daher systematisch die Reflexion, die wir mit Beobachtungsaufträgen und zeitlichem Abstand bewusst anders konzipiert und positioniert haben. Insofern erfolgt auf jeden Zusammenhang von Planung und Durchführung eine Reflexion (mehr zum zyklischen Lernen in Abschnitt 1.2 im Blog).

Entscheidend ist dabei die Haltung: Schulentwicklung funktioniert nicht nach Rezept oder Masterplan, sondern Schulentwicklung ist ein Prozess, auf den alle Beteiligten sich Schritt für Schritt einlassen müssen, ganz im agilen Sinne: „Du musst Dich langsam vorantasten, ausprobieren, voran irren.“ Vor allem ist Schulentwicklung kein Prozess, der irgendwann zu Ende ist. Immer wieder kommt ein neuer Zyklus mit neuen Themen – oder alten Themen, die neu bearbeitet werden müssen. Auch daher gilt das Prinzip der kleinen Schritte – vor allem zu Anfang: Jedes Thema kann erneut aufgegriffen und vertieft werden, aber der Pfad der Schulentwicklung sollte nur Schritt für Schritt entdeckt werden. Hier gilt wortwörtlich: Der Weg ist das Ziel!
Durch Reflexion zum Prototyp für folgende Schulentwicklungsformate
Dementsprechend hat neben der inhaltlichen Arbeit die formale Weiterentwicklung einen hohen Stellenwert: Wie bringen wir Themen voran? Hier kann alles auf den Prüfstand gestellt werden, von der Teamgröße und -zusammensetzung über die Struktur von vier zweiwöchigen Phasen sowie deren Binnenstruktur bis zur Themenauswahl muss nach jedem Zyklus alles reflektiert werden. Dadurch kann ein Modell ausbalanciert werden, das angemessen ist für eine Schule, ihre Schulgemeinschaft und ihre Schulgeschichte. Daher ist jeder, aber vor allem der erste Durchlauf zugleich Prototyp: Neben wertvollen inhaltlichen Ergebnissen ist auch ein (erstes) Format für Schulentwicklung das Resultat, das Teil der Schulkultur und des Organisationsgedächtnisses wird.
Zur Rolle der Schulleitung
Wir richten uns im Kurs zunächst an die Schulleitung als Auftraggeber für Schulentwicklung. Diese Entscheidung fiel ganz pragmatisch, denn ohne (oder gar gegen) Schulleitung ist Schulentwicklung kaum möglich. Insofern sehen wir Schulleitung (meist) als Initiatorin dieser Entwicklung. Deshalb bietet es sich oft an, dass Schulleitung pragmatisch den Aufschlag macht und ein erstes Team mit einem ersten Thema betraut.
Allerdings zeigt Scrum wichtige Differenzierungsmöglichkeiten auf: In Scrum-Teams gibt es immer die Rolle „Product Owner“. Diese:r vertritt die Interessen der Kundschaft im Team, ist aber nicht Teil des Programmiererteams.
Ein konkretes Beispiel aus dem Kurs: Feedback der Schulleitung zwischen Vorschlag und Weisung
Innerhalb des Kurses haben wir nach jeder Arbeitsphase ein Feedback aus der Schulleitung implementiert. Dieses wäre in Scrum so nicht vorgesehen. Product Owner entscheiden für das Team, wann ein Release ansteht, also die Kund:innen das (Teil)Produkt in Augenschein nehmen können. Auf diese Position mit ihren ausdefinierten Aufgaben haben wir im Kurs bewusst verzichtet, um die Struktur des Teams schlicht zu halten.
Zugleich ist diese Position so bedeutsam, dass sie als „Pate des Projekterfolgs“ gilt, denn: „Im Rahmen seiner Managementfunktion in Scrum entscheidet der Product Owner […] über die komplette Ausgestaltung des Produkts mitsamt all seiner auf die Anwenderbedürfnisse abgepassten Eigenschaften.“ Zugleich hat er eine Sonderrolle im Team, er ist „kein Projektmanager im klassischen Sinne und darf während der einzelnen Sprints nicht in den Entwicklungsprozess eingreifen – dies würde dem Grundverständnis von Scrum zuwiderlaufen.“ Vor allem sollte die einfachste Lösung unterbleiben: „Statt einfach die vom Kunden gewünschte Lösung in sein Product-Backlog aufzunehmen, sollte man immer nur die Herausforderung des Kunden in die Entwicklung hineingeben.“
Es ist somit Aufgabe des Teams, die Bedürfnisse der Kundschaft (also bei uns des Kollegiums und darüber hinaus der Schulgemeinschaft) abzuschätzen und eine passende Lösung zu entwickeln. Dafür ist die Rückmeldung der Schulleitung wichtig, da Schulleitung viel Wissen über die Schule einbringt. Zugleich muss die Rückmeldung aber aus Sicht des Teams interpretiert und eben nicht exakt umgesetzt werden, da sie externes Feedback ist und die gruppeninternen Überlegungen der Spezialisten nicht kennt. Nur dann ist die Rückmeldung der Schulleitung Feedback, nicht Anweisung.
Alles andere würde den Teamprozess unterminieren und die Beteiligung der Teammitglieder entwerten: „Fühlen sich Lehrkräfte […] in ihrem Anliegen gehört und ernst genommen, entsteht ein konstruktives Teamklima.“
Die wichtige Frage nach dem Auftraggeber von Schulentwicklung
Vor allem besteht die Kundschaft eines Schulentwicklungsprozesses nicht nur aus der Schulleitung, sondern aus der gesamten Schulgemeinschaft. Daher ist es notwendig, diese Interessen näher zu bestimmen – sonst droht der Prozess nicht als gemeinsames Vorgehen im Sinne des Organisationsgedächtnisses wahrgenommen zu werden. Je mehr die Mitglieder der Schulgemeinschaft am Prozess partizipieren können, desto mehr können sie sich den Prozess inhaltlich und formal zu eigen machen: „Menschen neigen eher dazu, sich einem Wandel anzuschließen, wenn sie die Möglichkeit haben den Prozess mitzugestalten oder durch eigene Ideen und Vorschläge Veränderungsprozesse zu starten.“
Mittelfristig muss Schulgemeinschaft selbst ihre eigene Auftraggeberin werden, Themen aussuchen, Teams zusammenstellen und das Tempo bestimmen. Wenn eine Schule hier bereits an bestehende organisatorische oder reflexive Strukturen anknüpfen kann, muss der erste Auftrag nicht von der Schulleitung ausgehen. Auch das ist nur ein Vorschlag. Alternativ kann der erste Auftrag von einer Steuergruppe oder einem anderen schulischen Gremium ausgehen, das innerhalb der Schule funktional eingebunden und gut legitimiert ist.
Die Interessen der Schulgemeinschaft bestimmen?
Von zentraler Bedeutung ist, Instrumente zu entwickeln, mit denen eine Willensbildung als Schulgemeinschaft umgesetzt werden und sich einspielen kann. Anders als die Frage, wie das Team selbst arbeiten kann, steht hier die Frage nach Abschluss und Neustart eines Zyklus‘ im Fokus. Ähnlich wie wir das im Video zu „Schulentwicklung durch gelebte Leitbildarbeit“ empfehlen, sollten alle Beteiligten, sollte im Idealfall die ganze Schulgemeinschaft den durchlaufenen Zyklus evaluieren:
Wir empfehlen eine gemeinsame Sammlungsphase für Rückmeldungen, am besten digital in einem geteilten Dokument, an dem alle arbeiten können. Danach sollte gemeinsam ein Fazit formuliert werden, das wiederum zukunftsorientiert auf Weiterentwicklung ausgerichtet ist:
- Was sollte im nächsten Zyklus im Hinblick auf thematische Arbeit und formale Struktur verändert werden?
- Was muss strukturell verändert werden, um die Team-Prozesse zu verbessern?
- Wie hat die Phasierung funktioniert?
- Wie haben die zeitlichen Abläufe und die Binnenstruktur funktioniert?
- Wie haben Auswahl und die Zusammenarbeit im Team funktioniert?
- War es sinnvoll, das Team beizubehalten oder zu verändern?
- Was muss strukturell verändert werden, um Zyklen zu durchlaufen?
- Wie kann zukünftig ein neues Thema ausgewählt werden?
- Was sollten die nächsten Themen sein?
- Wie schnell sollten die Zyklen durchlaufen werden?
Letztlich zielen alle Fragen auf die Selbststeuerung von Veränderungsprozessen ab. Schule als lernende Organisation muss eine Balance zwischen notwendiger Veränderung und drohender Überforderung finden, sodass ein laufendes System sich erneuern kann. Dafür kann und muss Schulleitung einen Prozess initiieren, der in vertiefter und vertiefender Partizipation mündet und nicht weniger bedeutet als die Transformation der Schule. An deren Ende steht eine lernende Organisation, deren Mitglieder eine offene Haltung gegenüber dauerhafter Veränderung haben. Vor allem kennt das Organisationsgedächtnis funktionierende Strukturen zur Selbstorganisation, weiß, wie Themen gemeinsam identifiziert und bearbeitet werden können, sodass eine Weiterentwicklung der Organisation als natürliche Evolution erlebt wird.
cc by Niels Winkelmann