Zeitgemäße Bildung

Interpersonales Feedback: Teil der Persönlichkeitsbildung

Eine alltägliche Szene aus dem Klassenraum: Ich gebe die Deutscharbeit zurück. Meine Schüler:innen werfen nur einen schnellen Blick auf die Note, dann verschwindet die Arbeit in der Tasche.

Früher habe ich mich in solchen Situationen innerlich geärgert, vor allem wenn ich ausführliche Kommentare verfasst hatte. Heute spreche ich „Audio-Feedback“ ein, das meine Schüler:innen in Ruhe zu Hause anhören. Sicherlich nicht alle, aber die Rückmeldungen sind positiv. Viele hören sich das an, manche mehrmals, fast alle finden es lernförderlich.

Allerdings ist weder mein Audiofeedback noch die Rückmeldung dazu echtes Feedback, wie ich es aus meiner früheren Tätigkeit als Referent in der außerschulischen Jugendarbeit praktizierte. Dabei wäre echtes Feedback in Schulen von zentraler Bedeutung:

Feedback als Teil der Veränderung (Teil 1 von 4)

Dieser Text resultiert aus dem Barcamp für zeitgemäße Prüfungskultur. Er reflektiert Feedbackkultur auf Basis der Session „Lern- und Prüfungskultur verändert sich (nur) durch veränderte Feedback- und Reflexionskultur?“ Es folgen Texte zur Reflexions-, Lern- und Prüfungskultur. Alle Aspekte eines Textes sind in je einem „Schieberegler zur offenen Lernkultur“ gebündelt.

Der erste Schieberegler:

Das Problem: Die Rückmeldungsfunktion der Noten

Die Rückgabeszene im Klassenraum ist so typisch wie plakativ. Schüler:innen werfen oft nur einen Blick auf die Note. Dabei soll die Leistungsbewertung laut meinem niedersächsischen Gesetzgeber auf den Lernprozess schließen lassen: „Bewertete schriftliche Arbeiten (Klassenarbeiten, Klausuren) geben Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Erziehungsberechtigten Aufschlüsse über den Stand des Lernprozesses.“

Aber dem wirkt vor allem die Korrekturpraxis entgegen. Schriftliche Arbeiten müssen justiziabel sein. Daher lernen Lehrer:innen in der Ausbildung, Arbeiten mit wertenden Randvermerken zu versehen, die (fast wie im Abitur) zusammen mit einem Kurzgutachten die Note begründen. Randvermerke und Kurzgutachten stehen dann im Spannungsfeld von Arbeits(ü)be(r)lastung und pädagogischer Lernförderlichkeit – und spätestens angesichts von Schüler:innen, die nur auf die Note achten, gewinnt die effiziente Korrektur. Als Ergebnis des Teufelskreises wird die Rückmeldung auf die Justiziabilität fokussiert. Daraus folgt die erste Stufe des Schiebereglers: Die Lehrkraft gibt eine Note, kommentiert sie begründend im Hinblick auf die Justiziabilität.

Diese Art der Rückmeldung reduziert uns Lehrende auf die Rolle der Beurteilenden, die pädagogische Funktion unsere Arbeit, vor allem die freundliche Zuwendung geht verloren. Das tiefere Problem dabei:

Dabei soll die Rückmeldefunktion aus pädagogischer Sicht viel mehr leisten: „Die Beobachtung, Feststellung und Bewertung der Lernergebnisse haben für die Schülerinnen und Schüler die pädagogische Funktion der Bestätigung, Ermutigung, Hilfe zur Selbsteinschätzung und Korrektur.“ Wenn Lernergebnisse diese Funktionen haben sollen, zeigen sich neben dem Korrekturspannungsfeld weitere Problemfelder:

1. Wichtig für die Lernförderlichkeit ist die Fortsetzung des gemeinsamen Lernprozesses über die Arbeit hinaus. Meist ist mit der Arbeit der Lernprozess abgeschlossen und zum Zeitpunkt der Rückgabe bereits ein neues Thema begonnen. Dann ist eine Korrektur (liebevoll Berichtigung genannt) für die Schüler:innen nur eine Sanktionierung gemachter Fehler.

Stattdessen sollten Fehler als Indikatoren für Lern- und Weiterentwicklungspotential Ausgangspunkt für Lernprozesse sein – im Sinne einer positiven Fehlerkultur. So habe ich nach der Klausur eine Phase eingeplant, in der die Klausuraufgaben in Gruppen überarbeitet und eine Kriterien- und Tippliste für die nächste Arbeit erstellt wurde. Das ist zwar hier stark an der Form der Arbeit orientiert, hat die Schüler:innen aber im Lernfeld „Klausurtexte verfassen“ spürbar vorangebracht.

2. Natürlich geht es nicht nur um meine Haltung, sondern auch um die Haltung der Lernenden. Diese kann ich durch lernförderliche Rückmeldungen (wie beim Audio-Feedback im nächsten Punkt erklärt) und die Integration der Arbeit in den Lernprozess begünstigen. Ändern kann ich sie jedoch nur innerhalb eines längeren Zeitraumes – und nur bedingt alleine: die Veränderungen muss von den Lernenden (und auch von anderen Lehrenden) mitgetragen werden.

3. Vor allem ist echtes Feedback nicht funktional, auch wenn der Gesetzestext so verstanden werden kann. Wenn ich Lernenden eine Rückmeldung gebe, ist es ihre Entscheidung, was sie damit anfangen. Das muss ich akzeptieren, wenn ich Lernende zu autonomen und eigenständigen Menschen erziehen möchte. Doch dazu später mehr.

Audio-Feedback als methodischer Vorteil für lernförderliche Rückmeldungen

Als wunderbare Ergänzung zur klassischen Korrektur erweist sich in meiner Arbeit das „Audio-Feedback“ (bei mir in Deutsch oder Religion): Nachdem ich eine Klausur mit Randvermerken und Kurzgutachten versehen habe, sehe ich sie mit einer Art Livekommentar noch einmal durch. Dabei spreche ich die Schüler:innen direkt an und kann dabei (als Gegenpol zur Justiziabilität) mit der Stimme freundliche Zuwendung transportieren. Inhaltlich gebe ich anfangs einen kurzen Überblick und versuche danach aufzuzeigen, was gut funktioniert hat und wie es beim nächsten Mal besser gehen könnte. Ich gehe nicht auf jeden Fehler ein, wähle nur einige Aspekte aus, die mir für die Weiterentwicklung wichtig erscheinen. Oft lade ich zu vertiefenden Gesprächen im Anschluss ein. Damit erreiche ich die zweite Stufe des Schiebereglers: Die Lehrkraft gibt Rückmeldung zur mündlichen oder schriftlichen Leistung, stellt Stärken und Lernchancen heraus.

Das „kostet“ mich einige Minuten pro Klausur, oft fällt mir aber auf, dass ich diese präzise Rückmeldung nur direkt nach der Korrektur geben kann. Wenn später Rückfragen kommen, muss ich mich in die Klausur zunächst einlesen. Zudem ist das Audio-Feedback bereits integraler Bestandteil meiner Korrekturen geworden. Während ich die Stapel früher bisweilen „wegkorrigiert“ habe, denke ich zunehmend während der Korrektur darüber nach, welche Ansätze ich zur Verbesserung geben kann.

Aufschlussreich ist allerdings der Vergleich zwischen meinen Fächern: In Mathematik sehe ich (in der Mittelstufe) kaum Anwendungsbereiche für Audio-Feedback. Da ist eine (kommentierte oder erarbeitete) Musterlösung oft sinnvoller, da die erwarteten prozeduralen Kompetenzen kleinschrittiger und eindeutiger sind: Bei der Lösung einer quadratischen Gleichung beispielsweise kann ich zwar auch verschiedene Lösungswege, aber doch nur sehr ähnliche Schritte gehen. Ähnliches gilt für die Rechtschreib- und Grammatiküberprüfung in Deutsch oder für Religionsarbeiten in der Mittelstufe: Hier sind Musterlösungen sinnvoller. Das wirft die Frage auf, inwiefern diese Arbeiten lernförderlich gestaltet sind oder zu reproduktiv konzipiert (und vorgesehen?) sind.

Bei Arbeiten und Klausuren, für die es keine Musterlösungen gibt, stellt sich hingegen oft die Frage nach Kriterien:

Kriteriengestütze Rückmeldung als Hilfe zur fachlichen Selbsteinschätzung?

Ein Leitmotiv fachlicher Ausbildung besteht in klaren Kriterien, wie dieser kurze Auszug aus dem dritten Bild von Max Frischs Drama „Andorra“ illustriert. Die Hauptfigur Andri durfte eine Ausbildung als Tischler beginnen und zeigt nun dem Gesellen seinen ersten Stuhl:


Geselle: Dein erster Stuhl?

Andri: Wie findest du ihn? Der Geselle nimmt den Stuhl von Andri und versucht ein Stuhlbein herauszureißen, Andri lacht. Die sind nicht zum Ausreißen!

Geselle: So macht er’s nämlich.

Andri: Versuch’s nur! Der Geselle versucht es vergeblich. Er kommt.

Geselle: Du hast Glück.

Andri: Jeder rechte Stuhl ist verzapft. Wieso Glück? Nur was geleimt ist, geht aus dem Leim.


Wie der Meister später die Stühle prüfen wird, kann auch der Geselle vorab prüfen – oder hier der Auszubildende selbst. Theoretisch sind damit alle Lernenden in der Lage, ihr Werk eigenständig einzuschätzen. Dass das im Drama nicht wie in der Theorie zu einer guten Leistungsbewertung führt, ist dem Handlungsverlauf geschuldet, nicht dem Kriterium. Die Dramenszene illustriert zudem auch Peerfeedback als wechselseitige Rückmeldung von Lernendem zu Lernendem (denn auch der Geselle Fedri untersteht klar noch der Beobachtung und Beurteilung). Hier ist es sogar Lernanlass für den höhergestellten Gesellen, der Glück unterstellt und Andris Leistung übersieht. Das zentrale Kriterium ist hier die Stabilität der Stuhlbeine, andere komplexe Kriterien wie Ästhetik oder Materialverbrauch scheinen auch später für den Meister irrelevant.

Wenn Lernende die Kriterien für ihre fachlichen Leistungen kennen, kann eine transparente Rückmeldung durch die Lehrenden dazu beitragen, dass der Lernprozess klarer wird im Hinblick auf die fachlichen Anforderungen, denen die Lernenden gerecht werden sollen bzw. wollen. Dann können Rückmeldungen zu Klassenarbeiten, aber auch zur sonstigen Mitarbeit die vorgesehenen Funktionen „Bestätigung, Ermutigung, Hilfe zur Selbsteinschätzung und Korrektur“ erfüllen.

Zugleich weist Philippe Wampfler auf die gegenläufige Funktion von Kriterienkatalogen in der Schulpraxis hin. So betont er, dass ein Unterschied zwischen Kriterien und einer Anleitung zur Bestnote bestehe, sonst müsse man einen komplett transparenten Kriterienkatalog nur abarbeiten. Aber: „Komplette Transparenz widerspricht der Funktion der Bewertung“. Zusätzlich verlagere das Phänomen der Binnenpunkte das Transparenzproblem auf die Frage nach der Begründung, wann wofür genau Punkte vergeben würden. Letztlich entstehe in der Praxis dadurch ein komplexer Kriterienkatalog: „Transparenz meint oft Kriterienkataloge, die aber willkürlich zusammengestellt und bewertet werden – und damit Intransparenz nicht auflösen, sondern verstecken. Das hat damit zu tun, dass Bewertungen gar nicht transparent sein können, weil ihre Funktion darin besteht, schlechte und gute Leistungen zu vergleichen.“ Insofern zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen dem Ideal eines zentralen Kriteriums (wie der Stabilität der Stuhlbeine) und der Realität komplexer Anforderungskataloge. Klare und transparente Kriterien bieten zwar im pädagogischen Sinne eine wichtige Orientierung, sind aber nur bedingt Teil der Arbeits- und Lebenswelt, auf die wir unsere Schüler:innen vorbereiten.

Kriterien als gemeinsamer Ausgangspunkt von Lernprozessen!

Um auf die komplexen Anforderungen einer ebenso komplexen Welt vorbereitet zu sein, müssen Schüler:innen lernen, hinter die Kriterien einer Bewertung zu schauen, diese auch zu hinterfragen. Einen kreativen Vorschlag für die Arbeit mit Kriterien hat @Bildungstanke auf Twitter präsentiert. Auch für ihn ist Ausgangspunkt der Überlegung, dass Schüler:innen begründende Kurzgutachten kaum lesen:

Dadurch können Schüler:innen in die Kriterien (die vorher gemeinsam erarbeitet werden können) eintauchen, da sie diese nicht nur inhaltlich durchdringen, sondern auch anwenden müssen. Durch diesen Perspektivwechsel (und die partizipative Erarbeitung der Kriterien im Vorfeld) kann eine Reflexion über die Kriterien in Gang gesetzt werden, aber auch über die Macht, die Kriterien für uns haben können:

Die Macht der Kriterien

Zur Erläuterung der Macht von Kriterien nutze ich einen Tweet von Lars Zumbansen. Dieser bezieht sich auf die oben skizzierte Kritik der Bewertungstransparenz, für die Wampfler eine Analogie aus der Restaurantwelt nutzt. Auch dort sind Kriterienkataloge ein problematischer Teil von (Restaurant)bewertungen:

Von besonderer Bedeutung ist der Umgang Sauerschells mit der Macht der Kriterien. Er hat sich davon gelöst und kann nun „befreit aufkochen“. Das verweist auf die tiefere Dimension von Feedback. Es geht bei jeder Bewertung, ob anhand von Kriterien oder ohne, nicht nur um eine fachliche (Selbst)einschätzung, sondern auch um die Identitätsfindung im Rahmen von Persönlichkeitsbildung. Wer bin ich, wer will ich sein? Für den Tischlerlehrling Andri wird diese Frage übrigens vom Meister beantwortet, der ihn für einen Juden hält und ihn deshalb aus der Werkstatt nimmt und ihn in die Buchhaltung steckt – obwohl Andri lieber Tischler lernen will. Andri kann diese Frage nicht selbst klären, da andere seine Identitätsfrage beantworten und er nun Kaufmann werden muss.

Sauerschell kann es (z.B. auch wirtschaftlich) und hat für sich geklärt, dass er sich dem „Bewertungsdiktat“, der Macht der Bewertung entziehen möchte. Auch Schüler:innen müssen diese Fragen klären:

„Der Etablierungsversuch von möglichst ‚fairen‘ und ‚objektiven‘ Leistungsvergleichen an Schulen zwingt gerade Schülerinnen und Schüler, die als leistungsstark gelten möchten, sich in ihrem schulischen Leben ausschließlich auf ihre Noten zu fixieren und daher darauf zu verzichten, dieses Leben auch als einen Bereich ihrer Persönlichkeitsbildung zu betrachten.“

Krassimir Stojanov in „Warum ‚Leistung‘ kein tragendes Prinzip von Bildungsgerechtigkeit sein kann“
(In: „Leistung: ermöglichen & beurteilen.“ Friedrich Jahresheft 40. S. 21)

Die Entscheidung zwischen erfolgreicher Leistungsbewertung und Persönlichkeitsentwicklung sollten Lernende nicht treffen müssen. Dennoch sieht die Realität oft anders aus:

Dabei steht die Persönlichkeitsbildung an erster Stelle des Bildungsauftrags der Schule:

(1) Die Schule soll […] die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln.

§ 2 Bildungsauftrag der Schule (NSchG)

Feedback als Hilfe zur Selbsteinschätzung

Um meinen Schüler:innen Persönlichkeitsbildung im Sinne der Freiheitsbewegungen zu ermöglichen, ist echtes Feedback eine zentrale Gestaltungsmöglichkeit.

Das Grundprinzip von Feedback lautet:

Feedback soll jemandem helfen, sich selbst und seine Wirkung auf andere zu verstehen.

Insofern unterscheidet sich Feedback grundsätzlich von lernförderlicher Rückmeldung, die funktional gedacht ist. Zur Erinnerung: „Die Beobachtung, Feststellung und Bewertung der Lernergebnisse haben für die Schülerinnen und Schüler die pädagogische Funktion der Bestätigung, Ermutigung, Hilfe zur Selbsteinschätzung und Korrektur.“ Diesem Ansatz steht jedoch entgegen, dass Kommunikation (und damit auch Feedback) eben nicht eindeutig ist. Wenn ich mit der Beobachtung, Feststellung und Bewertung der Lernergebnisse bestätigen oder ermutigen möchte, kann ich (versehentlich) das Gegenteil erreichen. Ebenso kann die Hilfe zur Selbsteinschätzung abgelehnt werden. Auch die Korrekturfunktion kann nur erfüllt werden, wenn sie von den Schüler:innen als Angebot genutzt wird. So zeigt sich: Jede Form dieser Rückmeldungen müsste eigentlich Feedback sein:

Feedback ist eine offene Rückmeldung an eine Person oder an eine Gruppe, wie ihr Verhalten von anderen wahrgenommen und gedeutet wird. Die regelgemäße Anwendung der Feedback-Technik schafft mehr Offenheit und Klarheit in Beziehungen und kann damit zu einer verbesserten Kommunikation im Lern- und Arbeitsalltag verhelfen.

Während also jede Bewertung von schriftlicher oder sonstiger Leistung zwingend geschlossen ist, ist eine zentrale Regel für (offenes) Feedback: „Beschreiben, nicht bewerten“. Darin zeigt sich:

„Lehrerinnen und Lehrer werden institutionell gezwungen, die schizophrene Position einzunehmen, einerseits vertrauensvolle empathische Bezugspersonen für ihre Schülerinnen und Schüler, andererseits aber distanzierte Schiedsrichter und staatlich beauftragte Chancenverwalterinnen für sie zu sein“ (Krassimir Stojanov „Warum ‚Leistung‘ kein tragendes Prinzip von Bildungsgerechtigkeit sein kann“. In Leistung: ermöglichen & beurteilen. Friedrich Jahresheft 40. S. 21)

Da ich diese schizophrene Situation aktuell aushalten muss (zur Diskussion um die Notenfrage empfehle ich „Eine Schule ohne Noten: Neue Wege zum Umgang mit Lernen und Leistung“ von Björn Noelte und Philippe Wampfler), trenne ich aktuell die Bewertung von Arbeiten methodisch vom Audio-Feedback in der Hoffnung, dass mein Feedback als solches angenommen werden kann. Denn echtes Feedback braucht einige Bedingungen, die anhand des Gegenteils in Bina Biancas Parodie deutlich werden:

Auf dem Weg zur Feedbackkultur: Interpersonales Feedback als zweckfreie (und anlasslose) Rückmeldung

Echtes Feedback ist keine Kommunikation von einer Person zur anderen, sondern funktioniert nur wechselseitig:

„Es geht systemisch gedacht nicht um Ursachen und Wirkungen, sondern um Wechselwirkungen. Selbstmitteilung und Feedback stehen in einem Wechselverhältnis. Feedback ist eine jeweils subjektive Art der Reaktion. Das heißt, nicht nur der Feedback-Nehmer, sondern auch der Feedback-Geber gibt mit seiner Äußerung Auskunft über sich selbst, worauf dann auch wieder eine Rückmeldung erfolgen kann. Jede Feedback-Äußerung hat also zwei Anteile:
Zum einen den Anteil der Person, die etwas über ihr Erleben vom anderen sagt. Diese subjektive Art des Erlebens hängt, wie oben erwähnt, auch mit der eigenen Person und Lebensgeschichte zusammen.
Des Weiteren besteht Feedback auch aus einem Anteil von der Person, der gesagt wird, wie sie vom Feedback-Geber wahrgenommen wird. Sie bekommt Informationen über ihre Wirkungsweise auf andere und darüber, welche ihrer Verhaltensweisen als hilfreich und welche als störend gesehen werden.
Genau diese zwei Seiten einer Feedback-Mitteilung verdeutlichen, dass es nie um das ‚So bist du‘ geht. Bei einer solchen Behauptung würde man den Anteil des Feedback-Gebers unterschlagen.“

Wir sehen also in Bina Biancas Parodie sehr schön, wie Feedback oft missbraucht wird, um die eigene Kritik loszuwerden. Damit wertet das lyrische Ich die angesprochene Person ab und schiebt ihr vorsorglich die Schuld für misslingendes Feedback zu. Allerdings bleibt damit die Rolle des lyrischen Ich als feedbackgebende Person unbeachtet, die sich an der zur Schau gestellten Kunst stört.

Eine ähnliche Wirkung können wir als Lehrer:innen erzielen, wenn wir Rückmeldungen zu den (Kunst)Werken unserer Schüler:innen geben: Entweder betrachten wir diese Rückmeldung als Kommunikation in nur eine Richtung. Dann besteht die Gefahr, dass Schüler:innen unsere Rückmeldungen emotional erleben wie die angesprochene Person in der Parodie: Als subjektive Kritik, die ungefragt daherkommt und fordert, mit ihr umgehen zu müssen. (Allerdings ist die Kritik hier systembedingt, denn das Schulgesetz zwingt Lehrer:innen, diese Kritik vorzunehmen, und Schüler:innen, mit dieser Kritik umzugehen.)

Oder wir gestalten unsere Rückmeldungen als wechselseitige und damit interpersonale Kommunikation, in der auch wir Lehrer:innen mit unserer persönlichen Sicht und (einem Teil) unserer Biografie zur Disposition stehen, weil wir gemeinsam mit den Schüler:innen Kriterien und deren Umsetzung reflektieren. Genau das kann im Vorschlag von @Bildungstanke passieren. Auch diese Ideen scheinen vom Schulgesetz vorgesehen, schließlich „sind die Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern, für sich allein wie auch gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erzielen.“ Insofern bietet sich eine echte Feedbackkultur geradezu an, um die Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern. Dabei ist entscheidend, dass wir Lehrer:innen mit gutem Beispiel vorangehen: „Denn beim Feedback ist das Vorbild ein wesentlicher Mechanismus, um die Offenheit des Prozesses und die Unwägbarkeit der Rückmeldungen auszuhalten und sogar spannend zu finden.“

Somit zeigt sich die dritte Stufe des Schiebereglers: LK und Peers geben einander leistungsbezogenes, aber auch interpersonales Feedback zu von LK definierten Anlässen. Zwischen zweiter und dritter Stufe liegt kein fließender Übergang vor, sondern ein gradueller: Der Wechsel von der einfachen Rückmeldung zum echten Feedback. Dieses lässt sich als Technik einüben und in der Schule kultivieren (mehr dazu hier). Wenn diese Kultur etabliert ist, ist Feedback nicht mehr Methode, sondern Haltung. Dann ist Feedback Teil der Kommunikationskultur, es braucht keinen ausdrücklichen Anlass mehr. Lehrende und Lernende können einander Feedback geben, aber auch um Feedback bitten. Damit verwischen auch die Hierarchien. Das sehe ich als Chance für Kommunikation (und vor allem Feedback) auf Augenhöhe. Dann bin ich Lernender unter Lernenden und kann über das Feedback auch etwas über mich lernen, ohne jedoch meine fachliche Kompetenz zu verlieren, die mich situativ wieder zum traditionell Lehrenden machen wird – aber auch zum Organisierenden, Moderierenden, Coachenden oder Begleitenden. Ich weiß aber auch, dass diese Vorstellung nicht allen Lehrer:innen behagt, weil damit auch das Gefühl von Kontrollverlust einhergehen kann.

Letztlich sind wir damit bei der vierten Stufe des Schiebereglers angelangt:

Anlassfreies Feedback ist integraler Bestandteil von Unterricht – wird erfragt, aber auch angeboten.

Allerdings bietet Feedback Chancen über den Unterricht hinaus, wie Angela Sommer im lesenswerten Aufsatz „Wertschätzendes Feedback in Schulen“ erläutert: „Schafft es ein Kollegium, eine Feedback-Kultur an der Schule zu etablieren, wird der kollegiale Dialog gefördert und kann zur persönlichen wie zur Schulentwicklung beitragen.“

Somit ergibt sich eine weitere Stufe des Schiebereglers, die aber über den Unterricht hinausgeht:

Anlassfreies Feedback ist integraler Bestandteil von Schule.

cc by Niels Winkelmann