Praktisches

Facharbeit als Prozess – mit KI (2024)

Eine Facharbeit ist für mich ein Prozess, seit ich erstmals einen Seminarfachkurs geleitet habe, also seit 15 Jahren. Und die Facharbeit bleibt auch mit KI ein Prozess:

Schüler:innen arbeiten sich in einem Leseprozess in ein weitgehend selbstgewähltes Thema ein, entwickeln (im Dialog mit mir) eine angemessene Leitfrage, die sie selbst in der Facharbeit beantworten. Dabei sollen sie wissenschaftlich arbeiten (lernen) und ihre Methodik durchdenken. Abschließend stellen sie ihre Arbeit dem ganzen Kurs vor.

Somit stand für mich nie eine reine Textproduktion im Fokus, den generative KI wie ChatGPT tendenziell leisten könnte. KI ist auf dem Weg zur Facharbeit Teil eines Lern-, Denk- und Arbeitsprozesses – integriert in die gemeinsame Themensuche, die begleitete Entwicklung von Leitfrage und Gliederung, die Literatursuche, die Textproduktion und -überarbeitung. Zugleich bleiben die Schüler:innen die Expert:innen für ihr Thema, über das sie sich mit mir in der Themensuche und der verpflichtenden Beratung austauschen. Vor allem erklären sie in der abschließenden Präsentation dem Kurs ihr neu erworbenes Wissen, nicht in Form eines Kollequiums, sondern als Expertenvortrag, der meist mit weiterführenden Fragen aus dem Kurs endet.

Insofern arbeite ich mit KI ähnlich wie ohne:

Anleitung per Taskcard

Schon in Zeiten vor KI habe ich meine Schüler:innen mit einem Taskcard (noch ohne KI!) begleitet, das die Arbeit grundsätzlich in die Vorarbeit und den eigentlichen Schreibprozess gliedert (mehr dazu hier). So konnten sich meine Schüler:innen das notwendige Wissen nach Bedarf aneignen (bzw. vertiefen, denn die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens werden ja im Vorunterricht regelmäßig aufgegriffen).

Dennoch ist dieses Learning-on-demand in meinen Augen besonders für die Textverarbeitung zentral. Wie Fußnoten gesetzt, ein Layout definiert oder ein Inhaltsverzeichnis erstellt wird, sollte in Zeiten guter Tutorials nicht vorab theoretisch erklärt werden.

Implementierung von KI in verschiedenen Bereichen unproblematisch

Im Taskcard ließen sich die Nutzungsmöglichkeiten von KI schrittweise implementieren. Zu nahezu jedem Schritt habe ich Vorschläge zur Nutzung von KI gemacht. In der Themenfindung und der Suche nach der Leitfrage kann KI gut zum Brainstorming genutzt werden. Auch einen Zeitplan oder eine Gliederung kann KI zumindest vorschlagen.

Besonders in der Endredaktion kann KI die Rechtschreibung in den Blick nehmen, aber auch Rückmeldung zu Schreibstil, Inhalt und Struktur geben. Bereits die Literaturrecherche zeigt aber die Schwierigkeiten von unspezifischen KI-Modellen (hier könnte das kostenpflichtige researchGPT helfen). Problematischer ist der Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens und des eigentlichen Schreibprozesses:

Darf KI die Formulierungsarbeit übernehmen?

Beim Schreiben selbst könnte man argumentieren, dass KI dann die eigentliche Arbeit abnimmt. Aus meiner Sicht ist diese Nutzung von KI aber durchaus legitim: Ähnlich wie wir mittlerweile Berechnungen in der Mathematik von CAS-Rechnern durchführen lassen, kann KI uns Vorschläge für Texte oder Textpassagen machen. Unsere Aufgabe – und die Aufgaben unserer Schüler:innen – ist es, die Formulierungen zu überprüfen.

Nach aktuellem Stand haben KI-Texte klare Schwächen:

  • Sie neigen stilistisch zu Buzzwords und Hochwertbegriffen,
  • aber auch zu sehr häufigen Zusammenfassungen („Closer“),
  • verwenden Fachtermini immer wieder falsch und
  • passen in Satzbau und Wortschatz nicht zu den vermeintlichen Autoren (Quelle).

Insofern kann KI (aktuell) eher zuarbeiten und nicht die Hauptlast tragen. Daher habe ich im Taskcard (mit KI) formuliert, man kann sich „Vorschläge für ein Unterkapitel machen lassen“.

Letztlich gibt es schreib(- und denk)didaktische Probleme, weil Schüler:innen eine wichtige Funktion des eigenen Schreibprozesses möglicherweise auslassen:

„Erst während des Schreibens entwickeln sich häufig Ideen und Argumentationsstränge, an die man in den vorangegangenen Phasen gar nicht gedacht hatte“

Matthis Kepser (Professor für die Didaktik des Deutschen)

Um genau dieses Problem ein Stück weit aufzufangen, versuche ich, den Prozess von Anfang bis Ende mit den Schüler:innen gemeinsam zu gehen. Zudem habe ich ihnen einen Bogen zur Selbstkontrolle (als pdf oder docx) erstellt und lasse sie im Nachhinein den Prozess anhand eines Bogens (als pdf oder docx) reflektieren.

KI kann aktuell nicht wissenschaftlich abliefern

Da KI aktuell halluziniert, also Fakten, Quellen und Autor:innen erfindet, ist das größte „Problem“ die inhaltlich valide Arbeit. Besondere Schwächen sind:

  • Die Argumentationsstruktur
  • Das Fehlen von Belegen, besonders Zitaten, aber auch konkreten Beispielen (Quelle).

Entsprechend problematisiere ich diese Aspekte im Taskcard, indem ich auf die Halluzinationen hinweise und betone, dass auch in KI-generierten Texten entsprechende Fußnoten implementiert werden müssen. Zudem habe ich im Bogen für die Selbstkontrolle extra die Passage eingefügt: „Ich belege meine Aussagen konsequent (z.B. durch Zitate und Paraphrasen [Faustregel: Jeder Absatz, zusätzlich Zahlen und Thesen])“.

Wenn Schüler:innen es schaffen, ihren Gedankengang klug zu strukturieren und durch die erlesene Literatur zu stützen, haben sie aus meiner Sicht die wichtigsten Schritte bewältigt – und ob KI dabei geholfen hat oder nicht, ist zweitrangig.

Eine kleine, aber wichtige Forderung am Ende:

KI müsste Lernenden gleich zugänglich sein

Auch wenn ich mir der Utopie dieser Forderung bewusst bin, stehe ich für sie ein. Wenn Schüler:innen nur die kostenlose Version von ChatGPT nutzen, sind sie im Nachteil gegenüber denen, die Geld dafür ausgeben. Eigentlich benötigen alle unbeschränkten Zugang.

Dennoch wird das nicht überall möglich sein. Auch dann würde ich diese Form der Anleitung im Taskcard empfehlen, da Schüler:innen zumindest über die kostenlose Version profitieren können – und das besser mit als ohne Anleitung. Wenn es keine Anleitung gibt, profitieren erneut diejenigen, die bereits gute Lernstrategien haben. Daher ist die Idee des Taskcards auch, Strategien zu „verraten“, um die Chancengerechtigkeit zu erhöhen.

cc by Niels Winkelmann