Zeitgemäße Bildung

SAMR und der Weg in die Kultur der Digitalität

Eigentlich wollte ich mal darüber schreiben, warum ich das SAMR-Modell von Ruben R. Puentedura trotz der Kritik mag. Ich wollte Käptn Jack Sparrow, den Protagonisten der Fluch der Karibik-Reihe, als Zitatgeber nutzen. Er wünscht sich am Ende des ersten Teiles von seinem Schiff, der Black Pearl: „Bring mich an den Horizont!“

Dieses sprachliche Bild fängt viel ein von meiner frühen Sicht auf das SAMR-Modell. Einen unerreichbaren Horizont erreichen zu können, war für mich Verheißung und Ansporn zugleich. 

Quelle: https://edulabs.de/blog/das-SMAR-Modell-und-zeitgemaesse-Bildung-Philippe-Wampfler-im-Gespraech

Wie ich in der Grafik von Sylvia Duckworth zu erkennen glaubte (und lesen konnte), würde uns digitale Technik ermöglichen, neuartige Aufgaben zu erzeugen, „die zuvor unvorstellbar waren“. Diese Vision begeisterte mich, auch wenn sie vage war. Ich müsste nur den Weg der „Integration von Lerntechnologie“ konsequent gehen und würde wie in der Grafik in die didaktisch-pädagogischen Tiefen der Redefinition vordringen. Und dahinter könnten sich unentdeckte Lernpotentiale verbergen, deren Horizont unendlich schien.

Zwischen Verheißung und Erfüllung

Aber wie bereits biblische Verheißungen zeigten: Die Erfüllung lässt oft auf sich warten. „Gott verheißt Menschen eine bestimmte Zukunft und erfüllt die Verheißung erst später, manchmal Generationen später.“ Eine Wartezeit alttestamentlichen Ausmaßes erscheint mir zu lang. Und wie auch schon Jöran Muuß-Mehrholz herausgestellt hat, lassen sich diese Stufen eben nicht wie eine Treppe in die digitale Verheißung abschreiten: „Die SAMR-Logik setzt unausgesprochen voraus, dass ein Abschreiten der einzelnen Stufen schon in die richtige Richtung führen würde. Dabei ist aber gar nicht klar, was die Richtung dieser Treppe sein soll.“  Ganz im Gegenteil kann uns digitale Technik in unterschiedliche Richtungen führen, kontrollierte Formen des Lernens ebenso verstärken wie offene.

Wenn wir aber unterschiedliche Wege wählen können, passt das Bild der göttlichen Erfüllung genau nicht. Wir müssen selbst aktiv werden und diese Zukunft konstruktiv mitgestalten.

Kultur der Digitalität, nicht Lerntechnologie

Ein Schlüssel liegt für mich in der Frage, inwiefern wir hier tatsächlich von einer Frage der „Lerntechnologie“ sprechen dürfen. In vielen Kommentaren zum SAMR-Modell werden die Neuerungen auf die technische Ebene fokussiert. Das mobile Endgerät ersetzt Heft und Buch. Präsentationstechnik ersetzt die Tafel. Das interaktive PDF ersetzt das gedruckte Arbeitsblatt. Einerseits ist das bereits im SAMR-Modell nur die erste Stufe. Andererseits denken wir dabei nur an Technik, die uns beim Lernen dient. Wir reduzieren beispielsweise das Arbeitsblatt auf seine technische Funktion als Träger von Informationen, die wir wie im Nürnberger Trichter in die Köpfe der Lernenden transferieren wollen. Das blendet die Frage aus, wie wir Informationen konservieren und kommunizieren. 

Deshalb ist diese Diskussion untrennbar mit dem Leitmedienwechsel verbunden. Dazu erklärt Muuß-Mehrholz bildhaft, „warum die Rede von ‚digitale Medien sind nur ein Werkzeug‘ falsch ist.“ Und Axel Krommer erläutert die Transformation von der Buchkultur zur Kultur der Digitalität. Dort gilt die„Untrennbarkeit von Online- und Offline-Sphären, die die Realität der Kultur der Digitalität ausmacht“. Beide stehen damit exemplarisch für eine neue Sicht auf Welt und Schule. Insofern müssen wir Welt und Schule begreifen im Licht einer Kultur der Digitalität. In dieser sind nach Felix Stalder „drei Formen des Ordnens entstanden, die dieser Kultur ihren spezifischen, einheitlichen Charakter verleihen: Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität.“

Die Kultur der Digitalität im SAMR-Modell

Für mich müssen wir damit neu auf die Ideen Puenteduras schauen. Er nannte in seinem „Classroom Example“ bereits Beispiele: 

Screenshot von: http://www.hippasus.com/resources/tte/puentedura_tte.pdf


In der Augmentation führt er das Beispiel „history sites linked to online text“ an. Somit bekommen wir technisch „Aufmerksamkeit auf gewisse Dinge gelenkt“. Das ist nach Stalder eine Form der Referentialität, in der Dinge beispielsweise durch Links miteinander vernetzt sind. In der Modification nennt er als Beispiel „construction of shared knowledge“. Das ist nichts anderes als eine „Ermöglichung neuen Wissens sowie neuer Formen des Handelns“, nach Stalder eine Form der Gemeinschaftlichkeit. 

Screenshot von: http://www.hippasus.com/resources/tte/puentedura_tte.pdf

Der Aspekt der Algorithmizität wird bei Puentedura lediglich allgemeiner angedeutet. Für Stalder bezeichnet das „jene Aspekte der kulturellen Prozesse, die von Maschinen (vor-)geordnet werden“. Puentedura nennt auch den maschinellen Aspekt in seiner abstrakten Beschreibung zur Redefinition: „Integrated with workgroup and content management software“. Das lässt in meinen Augen Differenzierungsspielraum zwischen Schule und Welt. Eine Content-Management-Software (CMS) lässt sich in der Schule kontrolliert einsetzen. Das freie Internet entzieht sich allerdings jeder Kontrolle, zumal es meist um selbstlernende Algorithmen geht, „deren Strukturen und Handlungsweisen von außen nicht zu verstehen sind“. Davor benötigen Kinder aber zunächst einen Schutzraum, den Schule beispielsweise mit einem kontrollierten CMS bieten kann.

Kultur der Digitalität: Blaupause für Bildung und Schule

Genau diese Mischung aus Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und eingeschränkter Algorithmizität ist für mich die ein zentraler Teil der Blaupause für zeitgemäße Schule und zeitgemäße Bildung. Dann kann die Kultur der Digitalität Einzug halten. Lernen muss auf dieser Basis neu verstanden werden, primär im Hinblick auf Organisation und Lernen in Referentialität (vor allem mit Wikis, Blogs und Hypertexten) und Gemeinschaftlichkeit (vor allem dem kollaborativen Arbeiten an Lernprodukten). Für mich wird das besonders in der kreativ-konstruktiven Medienproduktion realisierbar, wenn kollaborativ Lernprodukte erstellt, geteilt und neu ergründet werden – beispielsweise durch Kommentare oder andere Rückmeldeschleifen.

Natürlich muss auch Algorithmizität thematisiert werden. Allerdings sollten Lernprodukte zunächst nicht im eigentlichen Sinne ver-öffentlicht und damit zum potentiellen Spielball der Algorithmen werden, sondern in einem geschützten digitalen Raum wie einem Lern-Management-System geteilt werden. Dort können Lernende vertiefend interagieren. Dennoch sollten auch Ergebnisse (wie früher beispielsweise Leserbriefe) gezielt im Internet veröffentlicht werden. Vor allem muss Algorithmizität beispielsweise mit einem Vergleich von Suchmaschinenergebnissen als Teil von Medienpädagogik erfahrbar gemacht werden. Dabei geht es vor allem in den jüngeren Jahrgängen mehr um fremde und kaum um eigene Daten.

So kann Schule mit allen Beteiligten in die Kultur der Digitalität hineinwachsen. Wenn sie sich fragt, wie Gemeinschaftlichkeit und Referentialität möglichst oft erfahrbar werden – und Algorithmizität immer wieder. Das bringt uns an den Horizont.

cc by Niels Winkelmann

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