für die Süddeutsche Zeitung brachten Sie ihr Unverständnis zum Ausdruck, warum Lehrerinnen und Lehrer und ihre „Lehrerverbände auf das Ende des Präsenzunterrichts drängen“.
Ich möchte eines vorwegschicken: Ihre Überlegungen halte ich für weitgehend ausgewogen. Sie berücksichtigen beide Seiten: „Die einen – zum Beispiel der OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher – fordern, Schulschließungen zu verhindern. Die anderen, allen voran die Lehrerverbände, fordern, sie nicht voreilig auszuschließen.“ So weit, so ausgewogen.
Wenn Sie sich aber daran stören, dass wir Lehrer auch über das „Ende des Präsenzunterrichts“ nachdenken, übersehen Sie ein wichtiges Detail: Wie die aktuelle Situation in Thüringen zeigt, gibt es rechtliche Probleme, „was die Vereinbarkeit der […] geplanten Schulschließungen nach den Weihnachtsferien mit dem geltenden Infektionsschutzgesetz angeht.“ Diese hat ihr Kollege Jan-Martin Wiarda gut dokumentiert. Wenn wir uns also jetzt Gedanken darüber machen und die Möglichkeit für Alternativen zum Präsenzunterricht vorbereiten wollen, dann hat das sehr wohl etwas mit den (gesundheitlichen) „Interessen von Schülerinnen und Schülern“ zu tun, die Sie vernachlässigt sehen. Denn: „Tatsächlich verbietet […] nach Ansicht von Rechtsexperten das Bundesinfektionsschutzgesetz bundeslandweiten Distanzunterricht“.
Während sich das Präsidium der KMK noch heute, am 30.12.2021 „zu offenen Schulen“ bekennt, geraten die Schulen erneut zwischen die Fronten. So gilt in Niedersachsen beispielsweise eine „Weihnachts- und Neujahrsruhe vom 24.12.2021 bis einschließlich 15. Januar 2022“. Aktuell dürfen sich „Bei Ungeimpften: 1 Haushalt plus 2 weitere Personen aus einem Haushalt“ treffen. Zugegeben, Kinder zählen nicht mit. Aber genau die sollen sich dennoch schon ab dem 10. Januar wieder jeden Tag mit bis zu 30 Ungeimpften treffen (und wir als Lehrer möglicherweise sechs Mal hintereinander)?
Übrigens müssen wir uns dann treffen, weil es rechtlich aktuell (scheinbar) keine andere Möglichkeit gibt. Darüber sollten wir allerdings nachdenken. Und wenn die KMK das nicht tut, ist es Aufgabe der Verbände, diese Erwägung (!) einzufordern. Denn die Entwicklung der Omikron-Variante sind angsteinflößend – nicht nur in anderen Ländern, sondern auch bei uns, wie das Dirk Paessler seit Wochen modelliert. Vor allem zeigen andere Länder, dass sich bei Kindern die „Hospitalisierungen bei Kindern vervierfacht“ haben.
Insofern bin ich einerseits bei Ihnen, wir sollten „Schulen möglichst lange offen“ lassen. Andererseits hat die „Schulschließungssaison“ eben nicht begonnen. Das Bild ist irreführend, weil rechtlich aktuell nicht möglich.
Wenn wir Schulgebäude im Hinblick auf die Gesundheit von Schüler:innen und Lehrer:innen schließen müssen, sollten wir rechtlich und pädagogisch vorbereitet sein. Neben allen pädagogischen Konzepten sollten wir auch über alternative Konzepte zu Präsenz-, Wechsel- oder Fernunterricht nachdenken. Marina Weisband hat dazu bereits letztes Jahr „pragmatische Gegenvorschläge“ gemacht. Aber letztlich kennt die KMK nur das „Mantra vom Präsenzunterricht“. Nachvollziehbar, aber nicht hilfreich!
Mit freundlichen Grüßen
Niels Winkelmann