Die Zusammenfassung als Klassiker der Re-Produktion
Die Lehr-Lern-Forschung zeigt (auch ohne großen Exkurs in den Konstruktivismus), dass eine eigenständige Wiedergabe des Gelernten ein ebenso simpler wie effektiver erster Schritt auf dem Weg zum vertieften Verständnis ist. Wenn wir als Lernende Inhalte erneut (≈„re“) produzieren, geben wir den Zusammenhängen unseren eigenen Ausdruck. Das setzt im Gehirn bereits eine eine umfangreiche Verstehensleistung voraus. Im phasenweise textlastigen Oberstufenunterricht haben sich besonders im gymnasialen Unterricht die Wiedergabe und die Zusammenfassung als Königsdisziplin etabliert. Generationen von Schülerinnen und Schülern haben diese Formen üben dürfen. Und sie haben selbstverständlich nach wie vor ihre Berechtigung: Jede(r) sollte einen Text oder Sachverhalt strukturiert und präzise wiedergeben können. Zugleich sind diese reproduktiven Textsorten wunderbare Übungsformen für den präzisen Ausdruck. Ebenso sind sie ein guter Hinweis auf das Textverständnis: Wer einen Text gut wiedergeben kann, hat ihn in der Regel auch gut verstanden.
Re-Produktion am Tablet: Mehr als Buchstaben und Zahlen
Ganz anders begeistern Marek Müller und Thomas Schmidt mit ihrem YouTube-Kanal „Müller trifft Schmidt“ ihre Schülerinnen und Schüler dafür, mit dem iPad eigene Lernprodukte zu erstellen. Sie nutzen dafür sehr anschaulich den „learning by producing“-Ansatz. Dieser Ansatz verbindet in wunderbarer Weise die faszinierenden Möglichkeiten der Tablets mit dem lerntheoretischen Ansatz, Inhalte zu reproduzieren. Neben der Textproduktion, also der „klassischen“ Wiedergabe, bieten Tablets zahlreiche Formate: Die Lernenden können eine Audio-Datei wie beispielsweise einen Podcast produzieren. Ebenso können Bild und Text kombiniert werden, z.B. mit einer Präsentation in Keynote, PowerPoint oder Prezi, aber auch mit Pages oder Word in Form von Flyern oder Plakaten. Dabei können beispielsweise in Präsentationen auch Videos integriert werden – oder Lernende können konsequent auf das Video setzen und in Erklärvideos die übrigen Medienformen integrieren. Wenn wir vom einfachsten Podcast (nur Sprache ohne Zusätze wie Musik oder Klänge) und der einfachsten Form der Textverarbeitung (nur Text ohne Bilder oder Grafiken) absehen, verleihen die Lernenden dem Gelernten nicht nur mit Buchstaben, Worten und Zahlen Ausdruck, sondern beispielsweise auch mit Sounds, Formen oder Farben. Somit können die Lernenden ein breiteres Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten nutzen: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren/ sind Schlüssel aller Kreaturen,“ dichtete vor über 200 Jahren Novalis und scheint fast unsere Neigung zu problematisieren, alles mit Buchstaben und Zahlen zu dokumentieren (dieser Fokus war im Hinblick auf den Erfahrungskegel nach Dale Thema des letzten Posts). Novalis scheint im nächsten Doppelvers auch einen Ausweg zu skizzieren, da er andere Ausdrucksformen aufgreift: seine Idee, dass „die, so singen oder küssen,/ mehr als die Tiefgelehrten wissen,“ verweist uns darauf, dass nicht jede(r) die eigenen Gedanken gut in Worte fassen kann. Damit müssen wir nicht unsere Ansprüche an Klausuren im Speziellen und Texte im Allgemeinen absenken, aber wir können mit neuen Medien den Lernenden neue Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellen, damit sie sich Themen anders und dann zum Teil auch besser erarbeiten und zum Ausdruck bringen können. Und für uns Lehrende stellt beispielsweise Apple verschiedene kostenlose eBooks zur Verfügung, ebenso baut das Apple Teacher Program darauf auf.
Eigene Lernwege als Form der Autonomie: Motivation durch Entscheidungsfreiheit
Der eigene Ausdruck ist auch ein (erster) Baustein für den eigenen Lernweg. Eigenen Lernwege wiederum sind unerlässlich, um selbstgesteuert lernen (Lernprozesse im Sinne Hatties aktiv gestalten) zu können. Natürlich kann ich auch im Unterricht ohne digitale Hilfsmittel den Lernenden freistellen, dass sie statt einer Wiedergabe in Textform beispielsweise eine MindMap gestalten, aber die Möglichkeiten setzen schnell Grenzen. Bereits für ein Plakat benötige ich zusätzliches Material. Und wer nicht gerne mit Stift und Papier arbeitet, freut sich über die gewonnenen Möglichkeiten des Ausdrucks. So bietet bereits die Form eine hohe Individualisierung bei der Gestaltung des Lernproduktes, was bei Lernenden oft eine hohe Motivation freisetzt. Natürlich gehört dazu oft eine Heranführung an die vielen Möglichkeiten, um nicht zu überfordern. Doch diese Frage nach Differenzierung kommt in einem anderen Post. Und natürlich ist die Freiheit in der Wahl der Form zunächst nur das Gefühl, den Lernprozess eigenständiger gestalten zu können, da die zu lernenden Inhalte zumeist gesetzt sind, aber auch zur Redefinition des Lernprozesses im Sinne des SAMR-Modells kommen wir in einem weiteren Post.
Ein Kommentar zu „Re-Produktion als erster Schritt selbstständiger Wissensaneignung: Neue und andere Möglichkeiten durch digitale Medien“