Zeitgemäße Bildung

Was soll ein Handyverbot eigentlich verbieten?

Wir betreten die Basilika Notre-Dame de Fourvière in Lyon:

CC BY-SA 3.0 von MickaëlG

Diese wunderschöne Kirche wollen wir unbedingt in Augenschein nehmen – und ein paar Fotos für das Familienalbum hätten wir auch gerne. Doch dann fällt mein Blick auf das Handyverbots-Symbol der Informationstafel:

Handyverbot bei der Kirchenbesichtigung?

Also lasse ich mein Handy lieber in der Hosentasche. Schließlich will ich meinen Jungs kein schlechtes Vorbild sein.

In der wundervollen Basilika aber fotografieren alle anderen Besucher den Kirchenraum mit seinen wunderbaren Mosaiken, (Wand)Gemälden, Kirchenfenstern oder dem verzierten Gewölbe:

CC BY-SA 4.0 von Mk pictures

Und ich frage mich, was genau hier verboten sein könnte. Das moderne Smartphone hat schließlich verschiedenste Funktionen. Ich muss an die Metapher von Jöran Muuß-Merholz denken, der das Smartphone deshalb mit „Hermines Handtasche mit unaufspürbarem Ausdehnungszauber“ im sehenswerten Impulsvideo des NLQ (https://www.joeran.de/das-magische-smartphone-video/ ) vergleicht. In Anlehnung dazu hat Tobias Raue die verschiedenen Funktionen visualisiert:

Und einige Funktionen des Handy gehören nicht hierher, beispielsweise wäre es unpassend, wenn hier jemand lautstark telefonieren würde. Besucher sollten sich auf die Kirche fokussieren, nicht auf die Außenwelt, also sollte man auch nicht ausgiebig Nachrichten schreiben. Und das Handy als Spielekonsole in der Kirchenbank fände ich auch sehr seltsam.

Aber die Fotofunktion finde ich nutzbar, zumal das Fotografieren laut Schild nicht verboten ist. Weiterführende Informationen helfen uns, die Kirche besser zu verstehen und in ihrer Bedeutung für die Vergangenheit und die Gegenwart zu erfassen. Die kleinen Informationstafeln sind ja auch dafür da – und ich benötige die Übersetzer-App, um alles zu verstehen. Mein Französisch ist ziemlich eingerostet.

Während die Ideen durch den Kopf schwirren, sehe ich einen Geistllichen zwischen all den Besuchern. Der wird sicherlich gleich ein Machtwort sprechen!

Stattdessen zückt er sein Smartphone. Vielleicht ist das Verbot also nur eine Empfehlung? Oder Tradition?

Handyverbot in der Schule?

Irgendwie ist das wie ein „Handyverbot“ in der Schule. Was genau wollen wir da eigentlich verbieten? Traditionell scheinen mir Handys oft verboten, weil das Klingeln anfangs sehr störend war; als Jugendliche ihre ersten Handys hatten, gab es ja doch den einen oder anderen Klingelton, der die Stunde gestört hat. Ob aus Vergesslichkeit oder jugendlichem Übermut wusste ich nicht immer zu sagen.

Außerdem möchten wir Lehrende natürlich den Fokus der Schüler:innen auf das Unterrichtsgeschehen lenken, da würde Außenkommunikation nur stören. Also keine Telefonate. Und keine Nachrichten. Schließlich zeigen Studien, dass bereits das Wissen um eingegangene Nachrichten unsere Konzentration leiden lassen. Das gibt es zwar später im Beruf auch, aber bis dahin werden sie das irgendwie gelernt haben.

Allerdings war Außenkommunikation manchmal auch nützlich. Wenn wir Fehlende in die weiterführenden Planungen für Projekte oder Wandertage einbinden konnten. Oder Gruppenarbeit über Quarantänen hinweg fortgesetzt werden konnte – dank moderner Kommunikationsmittel.

Auch für eine Recherche sind die Smartphones manchmal praktisch. Dann müssen wir nicht umständlich in den Computerraum. Aber das geht nur, wenn ich das erlaube – schließlich könnten meine Schüler:innen die Antworten auf meine Fragen googlen, die sie doch auswendig wissen sollen. Manchmal überlege ich auch, ob wir neue Fragen und Fragetechniken brauchen. So könnten wir Unterricht weiterentwickeln, sodass wir weniger auswendig lernen lassen (müssen).

Außerdem können die Schüler:innen die Fotofunktion gut nutzen, um Standbilder in Deutsch oder einen Versuchsaufbau in Chemie zu dokumentieren. Oder das Tafelbild zu fotografieren, das sie nicht zuende abschreiben können. Aber nur, wenn ich sie nicht zwingen möchte, von Hand zu schreiben. Was sie auch machen müssten, wenn sie es zuhause in die Mappe übertragen.

Zugang zu Digitalität als Normalzustand

Die Pausen sähen sicherlich anders aus, wenn es kein Handyverbot gäbe. Natürlich gäbe es Schüler:innen, die den Drang erliegen, am Handy zu zocken. Aber vor allem die älteren Schüler:innen würden die Handys ganz normal als Teil des Zusammenleben nutzen – im Kalender die neu abgesprochenen Termine eintragen, den Mitschüler:innen ein paar Fotos oder das neue Spiel zeigen, wofür sie sich begeistern. Einige würden sicherlich auch gemeinsam spielen. Sie würden sich so verhalten wie in der Freizeit: Das Handy ist da und verfügbar, aber nicht der Fokus, sondern nur eine Option. Vielleicht könnten wir Lehrer:innen sogar mit denjenigen ins Gespräch kommen, die das Handy exzessiv nutzen und medienpädagogisch aktiv werden – damit Schüler:innen nicht erst in der Ausbildung oder an der Uni lernen müssen, ihren Medienkonsum zu steuern.

Nicht nur trotz und über, sondern auch mit Medien lernen

Und was könnte möglich sein, wenn meine Schüler:innen ihren Medienkonsum nicht nur selbst steuern könnten, sondern auch lernen, die Medien produktiv zum Lernen zu verwenden? Wenn sie es nicht nur dann nutzen dürften, wenn wir Lehrer:innen es erlauben, sondern dann, wenn es ihnen sinnvoll erscheint. Und wenn sie dann noch lernen, zu reflektieren, ob es wirklich sinnvoll war? Vielleicht würden sie sich selbst besser verstehen, würden verstehen, wann sie mit ihren Stärken und Schwächen wie gut lernen können:

„Lernen ist das Persönlichste auf der Welt – es ist so eigen wie ein Gesicht oder wie ein Fingerabdruck.“

Heinz von Foerster

In der aktuellen Situation hängt die Mediennutzung meiner Schüler:innen an der Frage, wann und ob ich ein Machtwort spreche – und warum. Und wie ich das Handyverbot einordne: Als Tradition, als Verbot, als Empfehlung?

PS: Nachdem ich aus der Kirche herausgegangen bin, realisierte ich beim Fotografieren des Schildes: Das Verbot galt nur für die Ausstellung, nicht für die Kirche. Aber warum genau dort… ?

cc by Niels Winkelmann

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