WZ-Kolumne

Schöne neue Welt?

Ein Blick in den Klassenraum. Mathematik. Einige Schüler schreiben fleißig im Heft. Zwei Schülerinnen diskutieren eine Aufgabe auf ihrem iPad. Andere tippen eifrig auf dem Display.

Die Kinder arbeiten in Bettermarks. Eine Mathematik-Software, sowohl im Unterricht als auch privat zur Nachhilfe genutzt. Ich setze sie gerne ein, weil alle eine individuelle Aufgabe bekommen und Abschreiben unmöglich ist. Dazu diagnostiziert das Program „Wissenslücken“ bei gehäuften Fehlern und stellt automatisch entsprechende Übungsaufgaben ein.

Professor Manfred Spitzer, eigentlich Kritiker des Lernens mit Tablets („Digitale Demenz“), hat Bettermarks bereits in einer Studie untersucht und zeigt sich offen: „Gut gemachte Lern-Software kann was“. Sein Interviewpartner Jörg Schieb, Journalist beim WDR, führt aus: Es könne „sinnvoll und nützlich sein, etwa Mathe am Rechner zu üben. Sofern die zum Einsatz kommende Software schlau genug ist, die richtigen Fragen zu stellen, die Schüler zu motivieren und bei jeder Schülerin, jedem Schüler ein individuelles Niveau zum Einsatz kommen zu lassen.

Da greift er den digitalen (Alb)Traum auf: Ein Computer ersetzt mich als Lehrer. Keine neue Idee. Bereits in den 1950ern entwickelte der Psychologe B.F. Skinner federführend die „Programmierte Instruktion“. Ein Computer muss lediglich passende Aufgaben stellen und Lernende belohnen. Ein innovativer Ansatz, entwickelt aus der Beobachtung, dass Versuchstiere bei passender Belohnung schneller lernen.

Aber auf der Suche nach der richtigen Belohnung scheint auch Bettermarks an Grenzen zu kommen. Die Historie der eifrig tippenden Schüler bestätigt meine pädagogische Intuition: Sie raten nur und tippen sich durch. So wie beim zufälligen Ausfüllen von Lückentexten im Arbeitsheft. Reine Selbstüberlistung.

Die Utopie ist entzaubert, hier hilft kein Computer. Ich bin als Lehrer gefragt. Ich kann mich über die kurzfristige Belohnung hinaus um die Lernenden kümmern, die Kinder auf den richtigen Weg führen, mit dem ganzen Menschen arbeiten. Denn darin unterscheidet sich Unterricht von Skinners Versuchen: Die passende Belohnung ist nicht leicht zu finden. Die passende Ansprache, wohldosiertes Lob, Wege zur nachhaltigen Motivation aufzuspüren, das sind meine zentralen Aufgaben als Lehrer.

Diese Kolumne erschien unter dem Titel „Brauchen wir noch Lehrer?“ am 1. September 2020 in der Wilhelmshavener Zeitung.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s