Leserbriefe

Sehr geehrter Philipp Frohn von der Wirtschaftswoche

In Ihrem Kommentar zur Digitalkompetenz an Schulen, „Prähistorische Digitalkenntnisse gefährden den Arbeitsmarkt von morgen”, fordern Sie zu Recht eine stärker ausgeprägte digitale Kompetenz für unsere Schülerinnen und Schüler. Aber Ihre Folgerungen für die Lehrkräfte greifen ebenso deutlich zu kurz wie Ihr Verständnis von Schule.

Doch der Reihe nach: „Deutschland ist ein digitales Entwicklungsland“. Darin sind wir uns sicher einig, ebenso wie in der Beobachtung, dass nun zwar viel Geld in Hardware und digitale Infrastruktur investiert wird, allerdings damit noch keine einzige Medienkompetenz entwickelt ist – weder bei den Lehrkräften noch bei den Kindern. Leider ist Ihre Lösungsstrategie ebenso simpel wie zu kurz gedacht: Wenn nun Landesregierungen Fortbildungsangebote strukturieren „und im Dialog mit den Lehrkräften“ besprechen, was diese „wirklich brauchen“, ist das zwar eine nette Idee. Doch das Kernproblem dabei ist, dass Ihr Ansatz zu statisch ist. Wenn wir genau und für alle Ewigkeit sagen können, wie Unterricht optimal funktioniert, dazu noch jedes Update für Apps, Programme und Betriebssysteme, also alle zukünftigen technischen Entwicklungen kennen, können wir das gerne machen. Aber weil das zumindest in den meisten Unternehmen nicht so funktioniert, haben sich im IT-Bereich neben dem statischen Projektmanagement auch die agilen Methoden etabliert – weil ich noch nicht weiß, was ich von den zukünftigen Techniken „wirklich brauche“. Und weil wir Lehrkräfte noch nicht wissen, was wir zukünftig benötigen, greift Ihre Forderung da zu kurz.

Erlauben Sie mir zum Vergleich ein Gedankenspiel: Nehmen wir einmal an, in Ihrer Redaktion wird ein neues Redaktionssystem eingeführt oder in einer anderen Firma ein völlig neues Arbeitsmittel, eine technische Innovation. Solch ein Projekt würde von langer Hand geplant. Allein die Auswahl hätte bereits viele Resourcen an Zeit und Geld beansprucht und auch die Inbetriebnahme würde präzise geplant, von der Installation bis zur Schulung der Angestellten. Parallel würde man die Betriebsprozesse daraufhin anpassen, eventuell sogar phasenweise die Produktion drosseln oder ganz einstellen.

Wenn ich nun diesen Prozess für die Schule denke, kann ich vor allem nicht annehmen, dass es eine Lösung für alle Schulen und alle Lehrkräfte gäbe. So individuell, wie für jede Stunde die Frage gestellt werden muss, wie ich als Person und Lehrkraft in dieser Stunde dieses Thema dieser Klasse nahebringen kann, so individualisierbar müssen auch die digitalen Werkzeuge funktionieren. Daher müssen sich alle Lehrkräfte gemeinsam auf den Weg machen, die digitalen Werkzeuge zu finden, die ihren Unterricht in ihrer Schule voranbringen. Ob Laptops oder Tablets, Beamer oder interaktive Whiteboards, Lernmanagementsysteme, Apps und Software, alle Elemente müssen sinnvoll den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler unterstützen. Das kann nicht zentral konzipiert werden, so funktioniert Schule nicht. Ganz im Gegenteil müssen wir alle Lehrerinnen und Lehrer mitnehmen auf dem Weg, Schule und Lernen aktiv zu gestalten. Und da hilft Ihr Lehrerbashing überhaupt nicht. Über die „greise Pädagogenschaft“ herzuziehen, ist Populismus pur.

Viele Lehrkräfte haben sich im sogenannten Homeschooling aufgerieben und nicht „im digitalen Nirvana“ verkrochen. Lehrkräfte in mehreren Bundesländern haben Ärger mit dem „bösen Datenschutz“, wie Sie ihn sarkastisch nennen. Und sie haben Ärger, weil sie den Datenschutz aus Verantwortung gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern ignoriert haben, ganz wie Sie es fordern.

Der Höhepunkt ist dann die Idee, in den Sommerferien hätten nun die entsprechenden Fortbildungen stattfinden können, seit März sei ja „weitgehend unterrichtsfreie Zeit“ gewesen. Etliche Studien wie z.B. vom Philologenverband haben eindrucksvoll belegt, dass die Sommerferien unser Jahresurlaub sind. Alle anderen Ferien erkaufen wir uns, indem wir Überstunden am Abend oder am Wochenende leisten. Der Jahresurlaub ist womöglich kein „Menschenrecht“, wie Sie es ironisch darstellen, aber in keiner anderen Firma würde die Einführung einer neuen Technologie in den Jahresurlaub gelegt. Und genau da liegt das Problem. Während überall anders die Einführung neuer Technologien zum Wegfall anderer Aufgaben führt, führt sie in der Schule zu Zusatzaufgaben. Natürlich sollen sich die Lehrkräfte in der außerunterrichtlichen Zeit, also ihrer Freizeit fortbilden. Außerdem dürfen sie die neuen Technologien nebenbei planen, installieren und warten sowie weiterentwickeln, denn dafür stehen weder Etat noch zusätzliches Personal zur Verfügung.

Worüber wir jetzt noch nicht geredet haben, ist die Frage nach dem Warum von neuen Technologien in der Schule. Natürlich ist ihre Idee ganz im Sinne der Stanford-Professorin Linda Darling-Hammond, die 2015 in der Huffington Post forderte: „It must be to prepare students to work at jobs that do not yet exist, creating ideas and solutions for products and problems that have not yet been identified, using technologies that have not yet been invented.“ Oder wie Sie es so schön formulierten: „Mit analog denkenden Mentoren aber dürften die Schüler es schwer haben, die Grundsteine für die Arbeitswelt von morgen zu lernen.“ Jenseits der Zeit, die Lehrkräfte benötigen würden, um digital denken zu lernen, bleibt die Frage, ob Sie die Schule als solche nur als Produktionsstätte für Arbeitskräfte sehen. „Unternehmen schreiben nach gut ausgebildeten Digitalakrobaten.“ Das mag so sein. Aber die Schule ist nur zu einem kleinen Teil Ausbildungsinstitution und vor allem Bildungsinstitution. Dass unsere Kinder Medienkompetenzen haben müssen, ist klar. Aber wie sie Medienbildung oder auch Bildung generell erfahren, und was dafür die digitalen Medien leisten können, das ist die Frage. Und die ist gesellschaftlich hochumstritten: Wie wollen wir unterrichten? Und wo haben da die (digitalen) Medien ihren Platz? Als Zusatzaufgabe für die Schule im Sinne einer Ausbildungsvorbereitung oder als wichtiges Werkzeug in der Bildung?

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