Schulentwicklung

Lernprozesse als Leistung betrachten

Wie wir Lernkulturen entwickeln und honorieren

„Eine Prüfung ist ein Verfahren, bei dem […] eine Leistung, durch bestimmte Aufgabenstellungen oder Fragen festgestellt“ wird. In den meisten Lernprozessen steht diese Prüfung am Ende. Wenn wir durch schulisches Lernen zugleich lebenslanges Lernen anbahnen wollen, müssen jedoch Überprüfungen von Lernprozessen zunehmend in die Hände der Lernenden gelegt werden, die selbst einschätzen müssen, inwieweit ihre Leistung hinreichend ist. 

Die KMK öffnet die Lernkultur genau in diese Richtung, wie ein Blick in die KMK-Papiere „Bildung in der digitalen Welt“, „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“ und „Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen“ zeigt. Mit einem Blick in die Papiere skizziere ich im Folgenden eine konsistente und zeitgemäße Vorstellung von Lernen, die in weiten Teilen meiner Idee von Unterricht entspricht:

Eigenverantwortliches Lernen ist Grundlage

Lernen wird von der KMK als eigenverantwortlich verstanden und basiert auf Gestaltungs- und Reflexionskompetenzen. 

“Um die Möglichkeiten des Lernens in der digitalen Welt für die eigene Entwicklung zu nutzen, bedarf es der Fähigkeit der Lernenden, eigene Lernprozesse zu gestalten und zu reflektieren. Lernende sind verantwortliche Akteure ihres eigenen und selbstgesteuerten Lernprozesses.“

cc by Niels Winkelmann

Bereits hier zeigt sich, dass eine Evaluation von außen nur bedingt über gelingendes Lernen entscheiden sollte. Eine Selbstevalutation auf der Basis reflexiver Prozesse gehört unbedingt dazu.

4K-Skills als zentrale Fähigkeiten

„Beim Lernen selbst rückt weniger das reproduktive als das prozess- und ergebnisorientierte – kreative und kritische – Lernen in den Fokus.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Hier zeigt sich neben der Abkehr von traditionellen reproduktiven Lern- und Prüfungsprozessen auch die Rezeption der sogenannten 4K-Skills, mehr dazu hier im Video. Bei individuellen Lernprozessen sind Kreativität und kritisches Denken als individuelle Hälfte der 4K von entscheidender Bedeutung. Zugleich ist funktioniert Lernen selten als rein individueller Prozess, die zweite Hälfte der 4K bestehen aus Kommunikation und Kollaboration:

“Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter und auch sozialer Prozess, bei dem Beziehungen zu Lehrenden und weiteren Lernenden entscheidend sind.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Für mich ist besonders die Kollaboration von zentraler Bedeutung, wie ich hier erklärt habe.

Lernprozessen Raum und Gelegenheit geben

Solche individuellen und gemeinschaftlichen Lernprozesse benötigen Anlässe und Raum, in Projekten sowie Problem- und Produktorientierung:

„Lehr-Lern-Prozesse mit Handlungs- und Produktorientierung, in denen die Lernenden zu Produzierenden eigener digitaler Produkte werden, fördern u. a. die Fähigkeiten, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, Lerninhalte zu strukturieren und zu visualisieren sowie sich gegenseitig im Lernprozess zu unterstützen.“

„Projektorientierte Kooperationen, um beispielsweise für komplexe Sachverhalte Problemlösungen zu finden, werden durch die Digitalisierung ermöglicht und erleichtert.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Lernprozesse digital denken

Basis für diese Arbeit im digitalen Raum sind digitale Lernumgebungen:

“Diese digitalen Lernumgebungen helfen Schülerinnen und Schülern, sich im Team zu organisieren, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, selbstständig Hilfen heranzuziehen und ermöglichen unmittelbare Rückmeldungen. Sie vereinfachen die Organisation und Kommunikation von Arbeitsprozessen und helfen dabei, dass Arbeitsmaterialien und Zwischenstände jederzeit dokumentiert und verfügbar sind.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Zugleich ermöglichen sie Autonomie der Lernenden, als Basis für Verantwortungsübernahme und Selbstständigkeit:

„Zusätzlich zum regulären Lernen im Klassenverband kann der virtuelle Lern- und Arbeitsraum aufgrund seiner Unabhängigkeit von festgesetzter Zeittaktung und physischer Anwesenheit Lernsituationen zwischen verschiedenen Lerngruppen innerhalb einer Schule oder auch zwischen verschiedenen Schulen sowie in außerunterrichtlichen Kontexten vereinfacht ermöglichen. Insgesamt bietet sich die Chance, den Schülerinnen und Schülern mehr Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lernens zu übertragen und damit ihre Selbstständigkeit zu fördern.“

Gemeinsame Metakognition auf Basis von Dokumentation

Derartige Lernprozesse benötigen vielfältige Kompetenzen und unterstützende Prozesse. Die bereits genannte Gestaltungs- und Reflexionskompetenz erfährt Unterstützung durch Feedbackschleifen und die Dokumentation von Lernprozessen, insbesondere in Form der Portfolio-Arbeit:

„Formatives Feedback, auch im Sinne eines bidirektionalen Austausches zwischen Lernenden und Lehrenden zum Lehr-Lern-Setting, unterstützt individuelle, personalisierte und kooperative Lernprozesse. Gleichzeitig ermöglicht die Einbeziehung von Feedback den Lernenden, ihre eigenen Lernprozesse kritisch zu reflektieren. […] Zur Begleitung der Lernprozesse erscheinen auch Formate wie ePortfolios hilfreich, die auf größere Lernzusammenhänge zielen.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

KI mitdenken

Von diesem Konzept ist es dann nicht mehr weit zur Integration von KI in Bildungsprozesse, die als ko-aktiver Teil des Teams oder Individuums agiert. Die Ergebnisse müssen da ebenso kritisch hinterfragt werden wie anderen Input aus dem Team:

„Mit dem Einzug von KI-Anwendungen in schulische Bildungsprozesse wird die Forderung nach einer zeitgemäßen Aufgaben- und Prüfungskultur bestätigt und um Leistungsüberprüfungsformate erweitert, die die Kompetenzen zur Durchdringung und Gestaltung einer digitalisierten Alltags- und Berufswelt fokussieren. Unter Einbeziehung der sogenannten Zukunftskompetenzen (4K – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritisches Denken) müssen veränderte Prüfungsformate zusätzlich KI-bezogene Kompetenzen im Sinne einer gelingenden Koaktivität von Mensch und KI berücksichtigen.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Lernprozesse bewerten

Wenn Lernen also als eigenständiger, 4K-basierter, projektförmiger, problem- oder produktiorientierter Prozess verstanden wird, der auf Basis einer digitalen Lernumgebung organisiert, dazu dokumentiert und anschließend reflektiert wird, müssen diese Dimensionen als Leistung verstanden und mitbewertet werden, denn: „Prüfungssituationen und -formate ergeben sich sowohl inhaltlich als auch methodisch aus dem konkreten Unterricht.“

Dementsprechend positioniert sich die KMK:

„Mit dem Einzug von KI-Anwendungen in schulische Bildungsprozesse wird die Forderung nach einer zeitgemäßen Aufgaben- und Prüfungskultur bestätigt und um Leistungsüberprüfungsformate erweitert, die die Kompetenzen zur Durchdringung und Gestaltung einer digitalisierten Alltags- und Berufswelt fokussieren. Unter Einbeziehung der sogenannten Zukunftskompetenzen (4K – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritisches Denken) müssen veränderte Prüfungsformate zusätzlich KI-bezogene Kompetenzen im Sinne einer gelingenden Koaktivität von Mensch und KI berücksichtigen.“

cc by Niels Winkelmann;
Für die 4K-Symbole: cc by Jöran Muuß-Merholz, mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis eine Folie von Markus Bölling

Vor allem fordert sie die Entwicklung neuer Prüfungsformate:

„Bei der Entwicklung neuer Prüfungsformate sind zusätzlich sowohl hilfsmittel-unterstützte, längerfristig vorbereitete, kollaborative sowie dialogische als auch solche Leistungen aufzunehmen, die im Rahmen einer Präsentation erbracht werden. Sofern bei der Erstellung eines Produkts KI genutzt wird, sollen bei der Leistungsmessung im Rahmen einer Präsentation und insbesondere in der Verteidigung zusätzlich die versierte Koaktivität und die Fähigkeit, die Ergebnisse zu reflektieren, berücksichtigt werden.“

Konsequenzen für meine Bewertungspraxis

Aus meiner Sicht besteht im Wandel der Formulierung eine entscheidende Wende, wenn wir weniger von „Prüfungsformaten“ sprechen und mehr von „Leistungsüberprüfungsformaten“: Leistung ist längst nicht mehr Arbeit pro Zeit, wie sie in der Welt der Maschinen gemessen werden kann. Menschliche Leistung ist hochkomplex und besteht in vielen Fällen aus dem Lernprozess selbst.

Daher arbeite ich sehr gerne mit Portfolios zu Lesejournalen, die eine einfach zu organisierende Form der Dokumentation mit einer Reflexion verbinden. Ebenso implementiere ich gerne Projekte im Bereich der sonstigen Mitarbeit. 

Auch wenn wir vorsichtig sein müssen, Reflexionen zu bewerten, da diese ebenso subjektiv wie persönlich sind, kann ich dennoch Mut machen: Wenn Lernende gelernt haben, einerseits den eigenen Lernprozess sachlich zu beschreiben, andererseits selbstkritisch zu hinterfragen und in Alternativen denken, stärkt dies wiederum zukünftige Lernprozesse. So entwickeln sich Lernende selbst weiter, indem sie die Aufgabe sinnvoll bearbeiten. Aus meiner Sicht korrespondieren dann oft (sehr) gut Noten mit (sehr) guter Entwicklung. Vor allem ergeben sich aus hohem Engagement große Lernerfolge und gute Noten und umgekehrt aus geringem Engagement entsprechend geringe Lernerfolge und schlechte Noten.

cc by Niels Winkelmann